Zukunft der Arthroskopie und Gelenkchirurgie in Deutschland

Bericht von der 26. Jahrestagung des Berufsverbandes für Arthroskopie (BVASK e.V.)


230216

Düsseldorf – Es ging um nichts Geringeres als die Zukunft der Arthroskopie und Gelenkchirurgie in Deutschland. Und zwar um die Zukunft aus jedem Blickwinkel: für den Arzt, den Patienten, die Kassen, das Gesundheitssystem insgesamt. Für den Unternehmer, den Angestellten, den ärztlichen Nachwuchs. Die Zukunft der Medizin, Technik, Ethik, des Bezahlbaren und des Unbezahlbaren. Über 200 Fachärzte für Arthroskopie trafen sich zwei Tage lang im Medienhafen, um zuzuhören, sich auszutauschen, zu diskutieren. Fazit: Das Engagement jedes Einzelnen wird gebraucht – nicht nur, um die Patienten, sondern auch das kranke Gesundheitssystem zu therapieren.

Schon bei der Begrüßung durch den 1. Vorsitzenden des BVASK, Dr. Ralf Müller-Rath, prasselte die aktuelle Berufspolitik auf jeden Teilnehmer ein: die Arthroskopie bei chronischer Kniegelenkarthrose (Gonarthrose) soll ab April keine Kassenleistung mehr sein! Betriebswirtschaftlich nicht unbedingt bedrohlich, nur wie sollen die Ärzte mit den betroffenen Patienten umgehen? Spezifische Abrechnungs-Codes nehmen, weil der primäre Grund der OP ja häufig doch ein anderer (mit Kassenleistung) sein kann? Das Ganze als Selbstzahler-Leistung durchkämpfen? Oder bei reiner Gonarthrose die Behandlung verweigern mit Hinweis auf die Wahl zwischen Ibuprofen oder gleich einem künstlichen Gelenk? Fakt ist, dass Einigkeit unter den Ärzten bestehen muss. Der BVASK wird dazu eine Strategie erarbeiten und mit seinen Mitgliedern gesondert in Kontakt treten. Denn, so Dr. Müller-Rath „dies ist erst ein Warnschuss. Das nächste Thema ist der degenerative Meniskusschaden. Ungemach droht hier aus Frankreich und Skandinavien. Um abstrusen Einzelmeinungen und unwissenschaftlichen Studien begegnen zu können, brauchen wir valide Daten.“ Deshalb geht der BVASK demnächst mit „DART“, dem Deutschen Arthroskopie-Register an den Start.

Beim Thema DRG sieht es nicht besser aus. „Diese gefährden eine bedarfsgerechte und bevölkerungsnahe Versorgung“, so das Resümee von Prof. Michael Simon von der Hochschule Hannover. Eine Abkehr von den DRG sei dringend geboten, die Kliniken müssten betriebswirtschaftlich arbeiten können.

Was Gesetze für die Zukunft im Gesundheitswesen anrichten können, zeigte Prof. Helge Sodann vom Deutschen Institut für Gesundheitsrecht sehr anschaulich auf. Seit 30 Jahren gäbe es keine substantiellen Verbesserungen von Vorschriften mehr, vor allem für die gesetzlich versicherten Patienten – und die machen immerhin 90 Prozent der Bevölkerung aus. Teilweise sei sogar eine Annäherung der gesetzlichen und privaten Modelle zu sehen und selbst die Bürger“zwangs“versicherung werde immer wieder hervorgeholt, obwohl diese sogar verfassungswidrig ist! Am Beispiel Versorgungsstärkungsgesetz zeigte Prof Sodann: „Nehmen Sie die Terminservicestellen. Wer in vier Wochen keinen Termin bekommt, soll in ein Krankenhaus gehen können. Hier wird nicht nach Lösungen gesucht. Denn wenn es zu wenige Termine gibt, müssen die Fachärzte ja entweder zu wenige oder zu schlecht verteilt sein, zuviel Bürokratie um die Ohren haben oder schlecht bezahlt werden.“ Die Kliniken seien personell gar nicht darauf vorbereitet. Ergo werde das Problem nur von den Niedergelassenen ins Krankenhaus verschoben. Und obendrein verschärfe man die Situation noch mit dem Abbau von Arztsitzen.

Aber es geht noch verrückter: Für die Terminservicestellen werden 25 Mio. Euro im Jahr ausgegeben – was für ein bürokratischer Unsinn! Dazu kommt die faktische Abschaffung der freien Arztwahl, die ist aber wiederum im Grundgesetz verankert.

Dann auch noch die Zweitmeinung. Die Anforderungen dafür „müssen vom Bundesausschuss erarbeitet werden“, so Sodann. Nur bestimmte Ärzte dürften jedoch die Zweitmeinung erstellen, was wiederum zu Zwei-Klassen-Medizinern führt.

Das Versorgungsstärkungsgesetz ist jedoch noch für andere Überraschungen gut: Über 2000 Medizinische Versorgungszentren gibt es derzeit bereits in Deutschland. Und es werden immer mehr. Jetzt können auch Kommunen MVZ gründen. „Dies“, so Prof. Sodann „ist rechtlich jedoch zweifelhaft. Wenn öffentlich-rechtliche MVZ gegründet werden, ist das ein Indiz dafür, dass sich das Gesundheitswesen auf dem Weg in die Staatsmedizin befindet. Es gibt immer mehr Planwirtschaft, immer weniger Freiheit in der Berufsausübung der Ärzte.“

So war „die Politik“ dann auch eingeladen. Und Frau Dr. Agnes-Marie Strack-Zimmermann, stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP nahm gern an. Ihre Einschätzung: „Wir haben viel Geld im System, aber es fließt zu wenig in die Ambulanz und in nachgeordnete Hilfsmittel und die Pflege.“ Eine OP verliefe meist gut, aber hinterher würden, gerade die älteren, Patienten allein gelassen. Ihr Vorschlag: „Das Geld sollte an den Patienten gekoppelt sein. Er muss es für seine Behandlung immer mitnehmen von der Klinik in die Praxis usw.“. Ihr Blick in die Zukunft: „Die Patienten werden immer höhere Ansprüche haben. Aber sie werden es nicht mehr bezahlen können und wollen. Das Gefälle zwischen Kassen- und Privatpatient wird immer schwieriger. Es wird viele Praxisgemeinschaften geben und ein Ranking der Ärzte bekommt einen immer höheren Stellenwert. Die Ärzte werden zunehmend über die Entlassung hinaus medizinische und ethische Verantwortung tragen müssen. Mein Appell an die Ärzte: Nehmen Sie die Sicht des Patienten an und helfen Sie ihm durch den Dschungel des Gesundheitssystems!“ Was die FDP für ein funktionstüchtiges Gesundheitssystem tun kann und wird, verriet die Politikerin allerdings nicht.

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen erklärte, dass „es das System, wo das Geld beim Patienten bleibe, schon in Ansätzen in der ASV gibt“. Die ASV - ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b SGB V – bietet den Patienten eine interdisziplinäre Betreuung, da komplexe, schwer therapierbare oder seltene Erkrankungen an Diagnostik und Therapie hohe Anforderungen stellen. Ob man dieses System auch auf andere Bereiche übertragen könnte, brachte er nicht zur Sprache.

Dafür aber ein anderes Ziel: „Wir müssen mehr ambulant und weniger stationär operieren. Die immer komplexere Behandlung bringt eine immer höhere Leistungsverdichtung. Deshalb brauchen wir eine solche finanzielle Ausstattung, dass der Verdienst gesichert ist und trotzdem die Qualität steigt.“ Die KBV arbeite eng mit den Berufsverbänden zusammen, jeder neue Vorschlag müsse jedoch erst einmal durch die „EBM-Mühle“. Chirurgische und orthopädische Gebühren müssten verschmelzen, da sie teils inhaltsgleich seien. Bei der EBM-Reform gäbe es aber „erheblichen Nachverhandlungsbedarf“. Neue Codes, die hohen Sachkosten und das Thema Hygiene, welches in jedem Bundesland anders gehandhabt wird, bereiten hier noch Kopfzerbrechen. Und: „Eine Fixkostenabschaffung“, so Gassen, „halte ich nicht für möglich“. Wichtig allerdings sei, noch in diesem Jahr eine neue GOÄ – das würde die privaten Kassen stabilisieren.

Die berufspolitischen Baustellen in der offenen Gelenkchirurgie erläuterte Dr. Pierre Göbel, Chefarzt im Krankenhaus Maria Hilf in Daun/Eifel. Ärztlicher Nachwuchs, Arbeitszeitmodelle und Geld sind die großen Schlagworte. In großen Städten sei der Nachwuchs ja noch einfach zu engagieren. Aber: „Schon 80 Kilometer vom Ballungsraum entfernt bekommt man keine Assistenzärzte mehr“, so Göbel. „Soll ich deshalb irgendjemanden einstellen – Hauptsache Mitarbeiter? Auf keinen Fall.“ Hier gelte es zu strukturieren. Für die Dokumentation zum Beispiel gäbe es das Team – das muss nicht der Arzt machen. Und: Ausbildung sei eine Frage der Führung. „Früher wurden Soziopathen noch toleriert, heute nicht mehr. Alte Chefmodelle haben ausgedient. Chefarzt ist keine Lebensstellung mehr. Die jungen Ärzte wollen eine gute Ausbildung. Sie wollen sich verwirklichen...“ Allerdings geht es da auch ganz entscheidend um die Arbeitszeiten. Prof. Göbel: „Wenn ich freitags um 15 Uhr den Assistenzärzten anbiete, noch einmal mit in den OP zu kommen und sage: `Du darfst auch selbst operieren`, kriege ich eine zarte Ablehnung.“ Die Work-Life-Balance ist in aller Munde. Göbel: „Da gibt’s keine Kompromisse – die junge Generation macht’s einfach nicht mehr. Wir brauchen also neue Modelle. Verlässliche Arbeitszeiten sind eine Grundvoraussetzung, sonst gehen die Nachwuchsärzte wieder. Und glauben Sie mir: die drohen nicht lange.“

Dr. Johannes Flechtenmacher, Präsident des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie zeigte kurz auf, wie die konservative Orthopädie zukunftssicher zu machen sei. Die Voraussetzungen sieht Flechtenmacher hierin: „Orientierung auf kurze Zeit und Schnelligkeit, zunehmender Zentralismus, immer mehr Aufgaben, Runterregelung durch die KBV und große regionale Unterschiede in den Verdiensten“. Dazu käme das Problem Hausärzte mit ihrer Lotsenfunktion: „Für die ist das Krankenhaus genauso nah, wie die nächste niedergelassene Facharztpraxis!“

Was also ist zu tun? Flechtenmacher: „Wir brauchen Struktur-Gelder, zum Beispiel den DMP-chronischer Rückenschmerz, Selektivverträge, Versorgungsforschung, eine sehr gute Presse- und Lobbyarbeit und den Spifa als Gegenpol zum Hausärzteverband.“ Sein Aufruf an die Ärzte: „Für all das brauchen wir Ihre Mitarbeit in den Gremien – im Berufsverband, in den KVen, in der Ärztekammer. Engagement ist gefragt!“

Ein wichtiges Kongress-Thema, weil gesetzlich nochmals zur Qualitätssicherung verankert, war das Thema Zweitmeinung. Dr. Jan-Christoph Loh von der Medexo GmbH Berlin stellte dazu ein neues Portal mit Software-Tools vor, die auch mit Geldern aus dem Innovationsfond weiterentwickelt werden sollen. Der Arzt soll 10 Tage vor der geplanten OP den Patienten auf die einzuholende Zweitmeinung hinweisen. Dann würden online Unterlagen an einen Kollegen geschickt, der für die Zweitmeinung „zertifiziert“ ist. Der Patient bekäme entweder über die Kasse oder über seinen ersten Arzt die Zweitmeinung zurück. Alle Befunde seien zusätzlich in ein medizinisches „Laien-Deutsch“ übersetzt. Es gäbe dann eine evidenzbasierte Empfehlung und für den Patienten würden alle verfügbaren Therapien aufgelistet. Gegen Vergütung sollten die Fachärzte als Studienärzte mitwirken. Die Indikation werde von den Ärzten in das System gestellt und über eine Software randomisiert, sobald der Patient eine Zweitmeinung haben will. Später gibt es vom Patienten dann ein Feedback, welche Therapien er anwendet und wie es ihm geht.

Die Ärzte waren bei Vorstellung dieses Software-Systems noch sehr skeptisch. Doch Dr. Loh war es wichtig: „Die Definitionen sollen ja von Ihnen als Ärzte kommen, und nicht vom G-BA. Und die Patienten kommen damit ja wieder zu ihnen zurück“. Hintergrund: Erst- und Zweitmeinungsarzt sollen beim Sichten der Patienten-Diagnose zueinander anonym bleiben.

Bei allen Problemen in der Gesundheitspolitik ist eines Fakt: der Gesundheitsmarkt boomt und wächst. Wachstumsmarkt Gesundheitswirtschaft – wer ist hier eigentlich der Treiber? Prof. Heinz Lohmann von Lohmann-Konzept Hamburg ist sich sicher: „Nicht die Politik – die ist selbst getrieben. Erster Treiber ist der Patient selbst. Denn er ist an erster Stelle Konsument.“ Ob Igel-Leistungen, Zusatzversicherungen, Ranking-Listen von Ärzten in Zeitschriften und im Netz – dies werde alles immer mehr. Der Kostendruck steigt, die Qualität muss trotzdem steigen, der Patient bekommt immer mehr Angst, weil er immer mehr weiß.

Der zweite Treiber seien die Mitarbeiter. Lohmann: „Sie müssen moderner arbeiten. Die Organisation mancher Ärzte und Kliniken ist noch antiquarisch. Aber die junge Generation will nicht 365 Tage lang Leben retten, die wollen auch leben. Deshalb ist ein moderner, digitaler Workflow wichtig. Dann bleibt den Ärzten wieder mehr Zeit für Empathie!“

(reis/BVASK)

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In Kürze finden Sie an dieser Stelle auch einen Artikel zum Thema: „Welche Rolle spielen Arztnetze in der zukünftigen Gesundheitsversorgung?“ von Dr. Hans-Jürgen Beckmann, Vorstandsmitglied Agentur Deutscher Arztnetze e.V.

Im LogIN-Bereich „BVASK inside“ finden darüber hinaus unsere Mitglieder demnächst die fachlichen Vorträge der 26. Jahrestagung in Düsseldorf.

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