Arthroskopie bei Gonarthrose - Eine Handlungsempfehlung für Ärztinnen und Ärzte

31032016

Diese Handlungsempfehlung wird von den folgenden Verbänden und Fachgesellschaften unterstützt:

Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie, Arbeitsgemeinschaft Niedergelassener Chirurgen e.V., Genossenschaft Niedergelassener Chirurgen Nordrhein eG, Bundesverband für Ambulantes Operieren e. V., Berufsverband der Deutschen Chirurgen e. V., Berufsverband der niedergelassenen Chirurgen Deutschland e.V., Berufsverband für Arthroskopie e. V., Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, Deutsche Kniegesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chrirugie, Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologische Sportmedizin, orthonet-nrw, Verband leitender Orthopäden und Unfallchirurgen Deutschlands e.V.

 

I. Der Beschluss

 

Der gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat infolge eines Antrages des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen am 27.11.2015 einen Beschluss zur Arthroskopie bei Gonarthrose gefasst (veröffentlicht: BAnz AT 15.02.2016 B2). Dieser Beschluss tritt am 1.4.2016 in Kraft.

Der Beschluss sieht vor, dass Arthroskopien bei Gonarthrose ab dem 1.4. nicht mehr Leistung der gesetzlichen Krankenkasse sind. Der Beschluss gibt eine Liste von Prozeduren vor, die von diesem Ausschluss betroffen sind:

Gelenkspülung (Lavage, OPS-Kode 5-810.0h)

Debridement (Entfernung krankhaften oder störenden Gewebes/Materials, OPSKode 5-810.2h)

Entfernung freier Gelenkkörper, inkl.: Entfernung osteochondraler Fragmente (OPS-Kode 5-810.4h)

Entfernung periartikulärer Verkalkungen (OPS-Kode 5-810.5h)

Synovektomie, partiell (OPS-Kode 5-811.2h)

Synovektomie, total (OPS-Kode 5-811.3h)

Exzision von erkranktem Gewebe am Gelenkknorpel (OPS-Kode 5-812.0h)

Meniskusresektion, partiell, inkl.: Meniskusglättung (OPS-Kode 5-812.5)

Meniskusresektion, total (OPS-Kode 5-812.6)

Knorpelglättung (Chondroplastik, OPS-Kode 5-812.eh) 

Diese Liste ist abschließend formuliert, d.h. sämtliche anderen arthroskopischen Prozeduren können weiterhin auch bei Gonarthrose erbracht werden. Von dem Beschluss sind sämtliche Arthroseformen erfasst (primäre, sekundäre, femuropatellare, femurotibiale).

Der Beschluss formuliert drei Situationen, in denen eine Arthroskopie bei Gonarthrose auch unter Verwendung eines Codes aus der o.g. Liste weiterhin Leistung der gesetzlichen Krankenkasse ist:

„Unberührt von diesem Ausschluss sind solche arthroskopischen Eingriffe, die aufgrund von Traumen, einer akuten Gelenkblockade oder einer meniskusbezogenen Indikation, bei der die bestehende Gonarthrose lediglich als Begleiterkrankung anzusehen ist, durchgeführt werden, sofern die vorliegenden Symptome zuverlässig auf die genannten Veränderungen an der Synovialis, den Gelenkknorpeln und Menisken zurückzuführen und durch eine arthroskopische Intervention zu beeinflussen sind.“

II. Weiteres Vorgehen

Folgendes Vorgehen empfehlen die unterzeichnenden Verbände und Fachgesellschaften in der konkreten Situation:

  1. Zunächst ist zu prüfen, ob eine Gonarthrose vorliegt oder nicht.

 

Hier gibt der GBA-Beschluss folgende Definition vor:

 

„Die Kniegelenkarthrose oder Gonarthrose ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung eines oder beider Kniegelenke, gekennzeichnet durch ein zunehmendes Gelenkversagen verbunden mit Veränderungen an der Gelenkstruktur, Schmerzen und verminderter Beweglichkeit. Je nach Ausprägungsgrad kann die Gonarthrose zu erheblichen Einschränkungen bei den Aktivitäten des alltäglichen Lebens sowie zur Minderung der Lebensqualität führen.“

 

Diese Definition ist aus Sicht der unterzeichnenden Verbände und Fachgesellschaften nachvollziehbar, da diese sowohl den Krankheitswert der Arthrose mit entsprechendem Leidensdruck sowie der Arthrose zuzuordnende Symptome und eine Reduktion der Lebensqualität umfasst. Zusätzlich zu den o.g. klinischen Einschränkungen sind unter Bezug auf die in der Definition enthaltene Formulierung „Veränderungen an der Gelenkstruktur“ eindeutig der Arthrose zuzuordnende röntgenlogische Veränderung im Sinne des eindeutigen Nachweises von Osteophyten zu fordern.

 

Diese Definition sollte als Grundlage für die Beurteilung, ob im Einzelfall eine Gonarthrose vorliegt, verwendet werden. Es ist zu betonen, dass die Diagnose einer Gonarthrose (=Gelenkversagen) im Wesentlichen auf Basis der Anamnese und der klinischen Untersuchung erfolgt. Röntgenbilder haben ergänzenden Charakter, um die Veränderung an der Gelenkstruktur beurteilbar zu machen. Weder bildgebende Befunde noch arthroskopische Befunde können ohne Einbettung in den anamnestischen/klinischen Kontext isoliert zu der Diagnose einer Gonarthrose führen.

 

Eine Gonarthrose im Sinne der o.g. Definition ist mit dem ICD –Code M17ff zu codieren.

 

Von einer Gonarthrose i.S. der o.g. Definition sind sämtliche anderen degenerativen und entzündlichen Veränderungen am Kniegelenk abzugrenzen, welche nicht „mit einem Gelenkversagen“ verbunden sind. Dieses betrifft insbesondere Knorpelschäden (Chondromalazie: ICD M94.26 bzw. M22.4, Chondrokalzinose: M11.2), Meniskusschäden, freie Gelenkkörper und Instabilitäten  (Binnenschäden des Kniegelenkes, ICD: M23ff).

  

  1. Falls eine Gonarthrose vorliegt, ist zu prüfen, ob eine oder mehrere der im Beschluss genannten Ausnahmesituationen (Trauma, Blockade, Meniskusschaden) vorliegen.

     

     

  1. Der Begriff des Traumas bezieht sich hierbei nicht auf  den Zustand der posttraumatischen Gonarthrose sondern auf eine traumatische Veränderung bei vorbestehender Gonarthrose. Liegt eine solche Situation vor, sind die Codes

    S83ff zu verwenden. Ebenso ist eine akute Synovialitis (ICD M13.96) infolge eines Traumas bei Gonarthrose möglich.

  2. Eine Blockade ist ein überwiegend anamnestischer Begriff, der in der klinischen Untersuchung ggf. verifiziert werden kann. Eine Blockade als solche lässt sich nicht mittels ICD-Code ausdrücken und muss daher entsprechend in der Krankenakte dokumentiert werden.

  3. Es obliegt dem jeweiligen Arzt, im individuellen Fall festzustellen, ob ein Meniskusschaden vorliegt, auf den ggf. die Symptome bei Gonarthrose zurückzuführen sind und der durch eine arthroskopische Intervention zu beeinflussen ist. Diese Feststellung kann nur auf Basis der Anamnese, klinischen Untersuchung und ergänzender Bildgebung getroffen werden. Hinweisgebend auf einen solchen Schaden sind Blockierungen, Einklemmungserscheinungen, Drehschmerz und positive Meniskuszeichen. Lassen sich die Symptome des Patienten zuverlässig auf einen solchen Meniskusschaden zurückführen, so ist dieser entsprechend als Hauptdiagnose (M23ff) zu codieren.

     

In allen Fällen ist eine stringente Dokumentation, die auch einer möglichen nachträglichen Fallprüfung standhält, unerlässlich. Zu dieser Dokumentation gehört vor allem auch die korrekte Codierung der eingriffsbegründenden Diagnose (s.o.).

 

Es erscheint durchaus ratsam, möglicherweise strittige Einschätzungen durch eine fachärztliche Zweitmeinung abklären zu lassen, die derzeit allerdings noch keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse ist. Auch der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK)  kann in zweifelhaften Einzelfällen zu einer Indikationsüberprüfung aufgefordert werden.

Im Falle einer Überweisung zu einem Operateur, der in die Vorgeschichte nicht entsprechend involviert ist, sollte der zuweisende Arzt bereits eine Einschätzung bzgl. der o.g. Fragen 1  und 2  abgeben oder durch die Mitgabe entsprechend aussagekräftiger Vorbefunde eine erleichterte Einschätzung ermöglichen.

 Zusammenfassend ergeben sich insgesamt die 5 folgenden möglichen Fallkonstellationen:

 

  1. Es liegt keine Gonarthrose i.S. der o.g. Definition vor:

 

Es können ohne Einschränkungen sämtliche arthroskopischen Prozeduren erbracht werden.

 

  1. Es liegt eine Gonarthrose i.S. der o.g. Definition vor:

 

    1. Sie können sämtliche arthroskopischen Prozeduren erbringen, die nicht gemäß der o.g. Auflistung vom GBA explizit ausgeschlossen sind.

 

    1. Es liegen ein Trauma, eine Blockierung und / oder ein Meniskusschaden vor, welche zuverlässig die Symptomatik begründen und einer arthroskopischen Intervention zugänglich sind: Sie können sämtliche arthroskopischen Prozeduren erbringen.

 

    1. Es liegen kein Trauma, Blockierung und / oder ein Meniskusschaden vor, welche zuverlässig die Symptomatik begründen und einer arthroskopischen Intervention zugänglich sind: Sie können die in der o.g. Tabelle benannten Eingriffe nicht mehr zulasten der GKV erbringen. Falls der Patient explizit eine arthroskopische Intervention wünscht und Sie im individuellen Fall eine medizinische Sinnhaftigkeit erkennen, können Sie den Fall als Selbstzahlerleistung erbringen (s.u.).

 

    1. Sie sind nicht sicher, ob Ihre Einschätzung zu b) trotz ordentlicher Dokumentation einer nachträglichen Überprüfung standhält: Falls Sie nach b) verfahren, entsteht das Risiko, dass der Fall in einer nachträglichen Fallprüfung durch die Krankenkasse oder KV einer Regression unterzogen wird. Dieses können Sie nur sicher vermeiden, indem Sie gemäß c) eine Selbstzahlerleistung anbieten. Alternativ können Sie dem Patienten das für Sie mögliche Regressrisiko darstellen und vorschlagen, dass der Patient dieses Risikoträgt (Regressübernahme) (s.u.).

 

III. Wichtige Hinweise für das weitere Vorgehen

 

  1. 1.             Selbstzahlerleistung

 

  1. a.                                     Aufklärung

 

Für die Selbstzahlerleistung gilt - wie für jede ärztliche Tätigkeit – das ethische Gebot, dem Patienten bzw. der Patientin nicht zu schaden.

Die Indikation muss aufgrund der kritischen Position des GBA besonders sorgfältig gestellt und dokumentiert werden. Zur Wahrung der ärztlichen Verantwortung sollten Sie dem Patienten ausführlich erklären, welche Vorteile und welchen konkreten Nutzen die vorgeschlagene Arthroskopie im Einzelfall und ggf. abweichend von der Einschätzung des GBA haben kann. Ist eine sichere Indikation nicht möglich, ist auch dies zu erklären und zu dokumentieren, um deutlich zu machen, dass die Leistung auf Wunsch des Patienten ähnlich einer kosmetischen Operation oder Injektion von Hyaluronsäure erfolgt.

Bitte vergessen Sie nicht die Risikoaufklärung, da jeder medizinische Heileingriff Risiken birgt. Bei medizinisch nicht indizierten Leistungen verlangt die Rechtsprechung eine besonders sorgfältige (und dokumentierte) Aufklärung über etwaige Risiken. Des Weiteren steht zu erwarten, dass bei operativen Selbstzahlerleistungen im Rahmen der Aufklärung auf das Recht zur Einholung einer Zweitmeinung hingewiesen werden muss.

 

Sie dürfen Versicherte auf keinen Fall dazu drängen, eine Arthroskopie in Anspruch zu nehmen. Leistungen, bei denen der Nutzen im Einzelfall nicht sicher ist, sollten nicht als erfolgversprechend dargestellt werden. Als Operateur würden Sie berufswidrig und ggf. auch unter Verstoß § 128 Abs. 2 SGB V handeln, wenn Sie eine Arthroskopie ohne überzeugende Begründung, aber mit großem Nachdruck nahelegen.

 

 

  1. b.                                          Schriftlicher Vertrag

 

Sie sind als zugelassener Vertragsarzt oder als medizinisches Versorgungszentrum nach dem Bundesmantelvertrag verpflichtet, mit gesetzlich Krankenversicherten einen schriftlichen Behandlungsvertrag zu schließen, wenn eine Selbstzahlerleistung durchgeführt werden soll. Eine Vergütung dürfen Sie nur fordern, wenn und soweit die Versicherten vor der Behandlung ausdrücklich verlangt haben, auf eigene Kosten behandelt zu werden und dies schriftlich bestätigen.

Die Vergütung erfolgt gemäß der Berufsordnung nach den Maßgaben der GoÄ.

Bitte beachten Sie, dass Anästhesiologie sowie nachfolgende Physiotherapie und alle weiteren Verordnungen einschließlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung(en) im Zusammenhang mit der Arthroskopie dann gleichfalls Selbstzahlerleistungen sind und nicht durch Überweisung oder Verordnung als Sachleistung erbracht werden können. Darüber müssen gesonderte Vereinbarungen mit dem jeweiligen Leistungserbringer geschlossen werden, sofern Sie dies nicht selbst erbringen.

 

Die Berufsverbände stellen bei Bedarf entsprechende Vertragsmuster zur Verfügung.

 

  1. 2.                  Kostenübernahme durch die GKV

 

Für die gesetzlichen Krankenkassen ist die Übernahme derartiger Leistungen nicht zulässig. Der Vorstand einer gesetzlichen Krankenkasse haftet persönlich für den Fall, das trotz Ausschluss aus dem Katalog der gesetzlichen Sachleistungen durch den GBA die Leistung im Rahmen des Sachleistungsprinzips oder per Kostenerstattung erbracht wird (§ 12 Abs. 3 SGB V). Es besteht dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Rückforderungsanspruch gegen den oder die Ärzte.

Es ist insofern nicht anzuraten, den Patienten mit der Frage einer Kostenübernahme vorab zur Krankenkasse zu schicken. 

Dennoch ist es durchaus empfehlenswert, den Patienten vorab zur Zweitmeinung beim MDK vorzustellen, um die indikationsbegründende Diagnose durch den MDK bestätigen zu lassen.  Eine Bestätigung der Indikation durch den MDK macht eine nachträgliche Prüfung zumindest unwahrscheinlich. Ein solches Verfahren macht nur in den Situationen Sinn, in denen die Indikation besteht, der Vertragsarzt sich aber vor einem Regress in dem Einzelfall schützen möchte.

 

  1. 3.                  Regressübernahme

 

Die so genannte Regressübernahme ist bislang noch nicht ausreichend juristisch verankert und muss daher unter dem Vorbehalt der Rechtsprechung gesehen werden. Im Prinzip geht es dabei um eine patientenseitige Erklärung, dem Arzt ggf. entstehende Regresskosten in einem dann nachträglich Gültigkeit gewinnenden Vertrag (Regressübernahmeerklärung) auszugleichen.

Bitte beachten Sie, dass Sie als Vertragsarzt eine Leistung nicht unter einer Bedingung erbringen dürfen. Kommen Sie zur Überzeugung dass die Indikation für eine Sachleistung besteht, darf die Erbringung nicht von der vorherigen Unterschrift einer Regressübernahmeerklärung abhängig gemacht werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Sie disziplinarisch verfolgt werden.

Unterzeichnet der Patient eine solche Regressübernahmeerklärung, erfolgt die Leistungserbringung  wie üblich. Kommt es in diesem Fall zu einem Überprüfungsverfahren im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung gem. § 106a SGB V und wird für den individuellen Patienten die Indikation nachträglich aberkannt, wäre auf der Grundlage der Vereinbarung die Inanspruchnahme des Versicherten denkbar. Über die Regressierung der eigenen Leistung hinaus können die Kosten von Ihnen veranlasster Leistungen Dritter (Anästhesie, Heil- und Hilfsmittel etc.) als sonstiger Schaden ebenfalls von Ihnen verlangt werden. Dies ist deshalb im Rahmen einer Regressübernahmevereinbarung mit anzugeben. Selbstverständlich unterliegt die Regressübernahmeerklärung den gleichen Prinzipien

wie die Vereinbarung einer Selbstzahlerleistung und sollte angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit nur mit Zurückhaltung genutzt werden. 

Ihr Berufsverband kann Sie weiter über das Thema der Regressübernahme informieren und ggf. auch ein Formular für eine Regressübernahmeerklärung zur Verfügung stellen.

 

Wir empfehlen Ihnen in jedem Fall, sich bei einer drohenden Prüfung / Regress frühzeitig an einen der federführenden Verbände zu wenden.

 

Zusammengefasst sehen wir folgende Punkte als entscheidend im Umgang mit dem Beschluss an:

 

  1. Anwendung der o.g. Definition der Gonarthrose

  2. Umfassende und nachvollziehbare Dokumentation der hauptsächlich zur Operation führenden Erkrankung/Symptomatik (ICD) und der entsprechenden Prozedur (OPS)

  3. Ggf. Absicherung der Therapieentscheidung durch eine Zweitmeinung, einschl. Vorstellung beim MDK 

  4. Ggf. Aufklärung des Patienten über Regressrisiko und Abschluss einer Regressübernahmeerklärung

  5. Ggf. Aufklärung des Patienten über Selbstzahlerleistung und Abschluss einer Selbstzahlervereinbarung

 

 

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