27. Kongress des Berufsverbandes für Arthroskopie: Wir Ärzte müssen wieder anders denken

Ob sie wollen oder nicht: Ärzte müssen sich neben ihren eigentlichen medizinischen Aufgaben immer mehr in der Berufspolitik engagieren – um in Zukunft ihre Patienten überhaupt noch adäquat versorgen zu können. Dies ist das Fazit des 27. Kongresses des Berufsverbandes für Arthroskopie (BVASK e.V.). Rund 300 Ärzte, Politiker, Experten aus Kommunikation, Wirtschaft und Medien waren gekommen, um zwei Tage lang spannende Themen zu diskutieren. Die Arthroskopie hat den „Ruf“ gehört: Orthopäden und Chirurgen verfolgen sehr genau, was sich auf ihrem Fachgebiet im G-BA, bei der KBV, in den Gremien, bei den Krankenkassen und beim Bundesgesundheitsministerium tut.

 

Leistungsstreichungen, Regresse, Indikationen von Nicht-Medizinern

Zunehmende Leistungsstreichungen für die Patienten, Regresse für die Ärzte, das Bestimmen von Indikationen durch Nicht-Mediziner sind nur einige der Schlagworte, die Sorge und eine breite Aufmerksamkeit erzeugen.  So brachte Dr. Ralf Müller-Rath, 1. Vorsitzender des BVASK, gleich zu Beginn des Kongresses, die Themen auf den Punkt, die den Verband derzeit beschäftigen. „Eine der zentralen Aufgaben 2017 wird die Mitarbeit an der neuen GOÄ sein“, so Dr. Müller-Rath, „genauso wie die Arbeit am EBM, denn hier müssen dringend die Sachkostenpauschalen angehoben und noch fehlende operative Leistungen hinein genommen werden.“

Müller-Rath weiter: „Bei der Weiterentwicklung sämtlicher Gebührensysteme wird immer nur gefragt, ob Ärzte eventuell zu viel verdienen oder zu viele Leistungen durchführen würden. Nie aber, ob an manchen Stellen vielleicht Unterfinanzierung und Unterversorgung besteht. Bei den DRG ist die Arthroskopie und insbesondere die Sachkosten nicht kostendeckend abgebildet“. Wirklich wichtig sei das Zusammenrücken mit den wissenschaftlichen Verbänden, so der 1. Vorsitzende. Denn nur so könne man die Notwendigkeit von Operationen in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern darstellen.

Deutschsprachiges Arthroskopie-Register (DART)

Um der  Streichung von Leistungen für die Patienten in Zukunft entgegen zu wirken, wurde  durch den BVASK in Kooperation mit der AGA und der GOTS das Projekt DART ins Leben gerufen. Die Zahlen, die damit für die Qualitätssicherung in Zukunft gewonnen werden, sind so wichtig, weil damit gezeigt werden kann, dass es Sinn macht mit patientenrelevanten Ergebnissen zu arbeiten. Dazu kommen neue wissenschaftliche Aspekte. Solche Ergebnisse könnten – in großer Anzahl – künftig für umfassende Studien verwendet werden.

Auch das Thema Antikorruptionsgesetz bewegt den BVASK sichtlich. Und hier geht es nicht etwa darum, welche Gelder oder Geschenke ein Arzt annehmen würde, wie sich so manch ein Laie bei diesem Gesetz vorstellt. Für die Arthroskopeure geht es schon um so simple und etablierte Dinge, wie das Operieren an einer Klinik als Honorararzt bzw. Kooperationsarzt. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion stand dann auch die berechtigte Frage im Raum: Was ist eigentlich angemessen?

Wann wird aus Kooperation Korruption?

Dr. Sebastian Berg, Fachanwalt für Medizinrecht der Kanzlei für Wirtschaft und Medien, versuchte den „Brei an Informationen“ zu ordnen: „Schon die Vergütung eines Honorararztes stellt einen Vorteil dar. Die Frage ist hier, wofür bekommt er die Vergütung, auf welcher Vereinbarung basiert sie?“ Natürlich dürfe niemand dafür Geld bekommen, dass er anderen die Patienten zuweist. Das sagt aber immer noch nichts darüber aus, wie viel ein Orthopäde mit seiner OP in der Klinik bei einem bestimmten Patienten nun verdienen darf. Berg ist sich sicher, dass es 2-3 Jahre dauern wird, ehe es die ersten gerichtlichen Entscheidungen dazu gibt. Müller-Rath: „Da fehlen Aussagen aus der Ärzteschaft. Es ist traurig, dass wir so etwas auf dem juristischen Jahrmarkt austragen müssen.“

Wichtig sei, so Berg, sich bei den Tätigkeiten an der Vergütungsstruktur im Krankenhaus und weiteren Vergütungssystemen wie EBM und GOÄ zu orientieren.

So konnte er den Arthroskopeuren nur eines raten: alle Verträge und Vorgänge transparent zu gestalten und klar zu definieren, was jeweils als Gegenleistung geschuldet wird. Chef-, Oberarzt- und Spezialisten-Aufschläge seien ebenso berechtigt in der Abrechnung, wie die Sozialabgaben, die der niedergelassene Arzt aus eigener Tasche leisten müsse. Weitere Gegenleistungen könnten auch Operationen für Klinik-Patienten, zusätzliche Visiten u.ä. sein.

Wichtigste Erkenntnis für Orthopäden und Chirurgen, die sich bei Leistungen, Entgelten oder der Zusammenarbeit mit der Industrie unsicher sind: bei vorheriger kritischer Beratung durch einen Rechtsanwalt, kann man nicht rückwirkend haftbar gemacht werden!

GBA-Beschluss zur Gonarthrose

Dr. Helmut Weinhart, Vorstand beim BVOU Starnberg, nahm kein Blatt vor den Mund: „Die Macht des G-BA ist bereits erheblich. Inzwischen werden schon gezielt die Studien rausgesucht, die zum entsprechend gewünschten Ergebnis führen.“ Bei der Fragestellung, ob eine Gonarthrose vorliegt oder nicht, sollten die Ärzte in Zukunft den Begriff der Gonarthrose nur da anwenden, wo er auch gerechtfertigt ist und nicht als Sammeltopfdiagnose für alles Mögliche.

Um die Gesundheitswirtschaft in einem überregulierten System ging es im Vortrag von Dr. Dominik Franz / DRG research group, Münster. Fehlanreize seien an der Tagesordnung. Kliniken sollen sich in naher Zukunft mithilfe von Qualitätsindikatoren untereinander vergleichen. Erste Daten wären für 2018 zu erwarten. Doch dafür müssen die Länder zustimmen. Das System reguliert und korrigiert, dann wird wieder gegenreguliert. Für die jüngsten angehenden Mediziner gibt es ab 2020 schon eine Regulierung, bevor sie überhaupt studiert haben. Denn: 10 Prozent der Studienplätze sollen für die Allgemeinmedizin auf dem Land reserviert werden.

Bei aller Überregulierung sei wegducken, resignieren oder protestieren zwecklos. Man könne nur besonnen agieren, so Franz. Hierbei sei die Qualitätsorientierung besonders wichtig.

KV – träges System mit ausgeprägtem Eigenleben

Macht das KV-System noch Sinn? Dieser Frage ging Dr. Manfred Weisweiler nach. Der Vorsitzende des ANC Nordrhein sagte: „Das System ist rechtlich und wirtschaftlich zermürbt. Die Vertragsärzte müssen den KVen als Körperschaften angehören, aber diese sind keine Interessensvertretungen.“ Bei den „sprechenden“ Ärzten gäbe es immer mehr Geldzufluss, während bei den „handwerklichen“ Ärzten der Geldabfluss überwiege. Die KV sei als System zu träge, extreme Bürokratie mit ausgeprägtem Eigenleben nehme zu. Der Einfluss der Politik wachse ständig. Weisweilers Fazit: „Sinn und Nutzen der KV sind infrage gestellt. Es besteht dringender Reformbedarf oder die Hinwendung zu alternativen Abrechnungsstrukturen.“ Dafür müssten Orthopäden, Chirurgen und andere „Handwerker“ zusammengehen.

Das Plädoyer: „Wir müssen wieder anfangen, anders zu denken, müssen in direkte Verbindung zum Patienten kommen. Wir müssen wieder von Kassenärzten zu Ärzten werden.“

Wie geht es weiter mit der GOÄ?

Dr. Klaus Reinhardt, Vizepräsident der ÄKWL zeigte die aufwendige Arbeit auf, die in der neuen Gebührenordnung für Ärzte steckt: „Rund ein Viertel aller Ziffern werden noch einmal angefasst. Mit der PKV muss vieles noch einmal verhandelt werden. Erst brauchen wir unsere eigene Kalkulation, dann kommen die Korrekturen der Berufsverbände.“ „Vorher“, so verspricht er, „wird nichts beschlossen“.

Was mit dem neuen EBM auf die niedergelassenen Operateure zukommt, verriet KBV-Chef Dr. Andreas Gassen auf dem BVASK-Kongress höchstpersönlich.

 

Punktsumme und Ausgabenneutralität – auf Deutsch: es darf nichts kosten

Es werde keinen neuen, eher einen weiterentwickelten EBM geben. Aber eines sei unverhandelbar: „Neue Leistungen gibt es nur für neues Geld“, so Gassen. Man habe versucht, den EBM fast basisdemokratisch zu entwickeln. Aber es wird keinen EBM „auf Raten“ geben. Erst werde alles gesammelt – dann gibt’s einen Beschluss. Für das Thema Schnitt-Naht-Zeiten brauche es noch valide Daten. Und beim Thema Hygieneanforderungen, sei es schwer, alles auf den einzelnen Fall umzulegen. Insgesamt braucht der EBM, genauso wie die GOÄ wohl noch einiges an Zeit!

Reichen RCT für den Nutzennachweis chirurgischer Techniken?

Dies versuchte Prof. Günther Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomie zu beantworten. Als Erstes machte er klar, dass RCT die Wirksamkeit messen, jedoch nicht den Nutzen. So liegen die Nachteile alleiniger RCT klar auf der Hand: sie bilden nicht den Versorgungsalltag ab, sie können keinen Nutzen aus Patientensicht einbeziehen, keinen Zusatz-Nutzen im Vergleich erfassen und auch nicht den langfristigen Patientennutzen darstellen. Die Fragen: Kann ich eine Pflege verhindern, kann ich die Arbeitsfähigkeit verlängern oder Ähnliches bleiben bei diesen kurzfristigen Studien völlig außen vor. Fazit: RCT alleine reichen nicht für die breite Masse an Patienten! Es braucht ergänzende Register und einzelne Modellierungen. Dies müssten laut Neubauer Gesellschaften und Uni-Kliniken leisten.

Auch ein kleiner Eingriff kann eine große Wirkung haben

Aber der G-BA ist eine ökonomische Einrichtung. Deshalb erstellt er eine Kosten-Nutzen-Bewertung und braucht immer einen Zusatznutzen zur Vergleichstherapie. Derzeit erfolge die Bewertung jedoch nur von den Krankenkassen – nach dem Geld und den Medizinern nach der Medizin. Es müssten jedoch zum Beispiel auch Kranken- und Rentenversicherung für wahre Ergebnisse einbezogen werden.

Auf die Frage der BVASK-Mitglieder, ob das dann nicht ein System wie in der ehemaligen DDR sei, antwortete Neubauer: „Nein, das ist kein Vergleich. Sie können ja arbeiten, kriegen eben nur nicht alles von der Kasse bezahlt. Aber Sie können den Patienten ja überzeugen, den Rest zuzuzahlen, wenn er die Leistung haben will.“

Messerscharf folgerten die BVASK´ler, dass die Politik die zunehmende Priorisierung nun durch die Ärzte mitteilen lässt.

Der Bogen zur „Machtzentrale G-BA“ war damit elegant geschlagen. Dr. Albrecht Klöpfer vom Büro für gesundheitspolitische Kommunikation, analysierte, wohin sich das deutsche Gesundheitswesen mit dem G-BA noch entwickeln wird.

Machtzentrale G-BA

Klöpfer: „Im G-BA sitzen KBV, KZBV, DKG, GKV – alles nur Funktionäre. In den Gremien sind keine Fachgesellschaften, keine Berufsverbände, keine Mediziner, die Ahnung vom Versorgungsalltag haben. Die Patientenvertreter haben Sitze, aber kein Stimmrecht. Das Plenum ist transparent, die Unterausschüsse nicht!“ Aber genau in diesen Unterausschüssen würden die wichtigen Entscheidungen getroffen. Jedoch gäbe es dort keine Tagesordnungen, keine Protokolle. Das Fachwissen sei völlig unzureichend und niemand kommt da ran.

Zwischen der stationären und der ambulanten Versorgung bestehe im G-BA förmlich eine Mauer. Stationär sei alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist. Ambulant sei alles verboten, was nicht explizit erlaubt ist. Die gesetzliche Krankenversicherung fürchte „Dammbrüche“, wenn bestimmte Leistungen zugelassen würden. Deshalb könne sich unser Gesundheitssystem an dieser Stelle nicht mehr weiterentwickeln.

Albrecht Klöpfer betont: „Im G-BA gibt es immer wieder Entscheidungen, wo nicht Patienteninteressen verwirklicht, sondern Positionen verteidigt werden. Es gibt keine Fachaufsicht. Der G-BA ist ´Next to God´“.

Was also tun? Eine behördliche Gesundheitsaufsicht durch das Bundesgesundheitsministerium sei sicher nicht der richtige Weg.

Einziger Ausweg aus dem Dilemma des G-BA: Öffentlichkeit

Der einzige Ausweg sei, so Klöpfer, das „Spotlight“. Es müsse eine Art Schiedsgericht für die Gesundheitsbelange eingerichtet werden. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages könne öffentliche Anhörungen beantragen. Dann würden Leistungen und Patienteninteressen stark in den Focus der Medien rücken. Niemand im G-BA könnte dann so einfach in undurchsichtigen Unterausschüssen und ohne Fachkreise weitreichende Fehlentscheidungen treffen!

Der BVASK-Kongress 2017 stieß bei Medizinern und Gesundheitsökonomen auf wahre Begeisterung. Die Abwechslung zwischen spannenden berufspolitischen und professionellen Fachvorträgen fand großen Anklang. Dazu kamen lehrreiche Workshops, ein modernes OP-Videoteaching und lockeres Networking in  angenehm herzlicher Atmosphäre.