Arthroskopie bei chronischer Kniegelenksarthrose ab 1. April nicht mehr für Kassenpatienten

Patient und Arzt kurzerhand für unmündig erklärt

150216

Berlin/Neuss – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat mit Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit arthroskopische Verfahren zur Behandlung einer chronischen Arthrose des Kniegelenks (Gonarthrose) für Patienten der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen. Dies gilt sowohl für die ambulante als auch für die stationäre Versorgung. In „hochwertigen“ Studien seien keine wissenschaftlichen Belege für den Nutzen der vom G-BA geprüften arthroskopischen Verfahren zur Behandlung der Gonarthrose gefunden worden.

 

Im Einzelnen sind folgende Punkte betroffen:

 

- Gelenkspülung (Lavage, OPS-Kode 5-810.0h)

- Debridement (Entfernung krankhaften oder störenden Gewebes/Materials, OPSKode 5-810.2h)

- Eingriffe an der Synovialis, den Gelenkknorpeln und Menisken

- Entfernung freier Gelenkkörper, inkl.: Entfernung osteochondraler Fragmente (OPS-Kode 5-810.4h)

- Entfernung periartikulärer Verkalkungen (OPS-Kode 5-810.5h)

- Synovektomie, partiell (OPS-Kode 5-811.2h) o Synovektomie, total (OPS-Kode 5-811.3h)

- Exzision von erkranktem Gewebe am Gelenkknorpel (OPS-Kode 5-812.0h)

- Meniskusresektion, partiell, inkl.: Meniskusglättung (OPS-Kode 5-812.5)

- Meniskusresektion, total (OPS-Kode 5-812.6) o Knorpelglättung (Chondroplastik, OPS-Kode 5-812.eh)

Unberührt davon sind solche arthroskopischen Eingriffe, die aufgrund von Traumen, einer akuten Gelenkblockade oder einer meniskusbezogenen Indikation, bei der die bestehende Gonarthrose lediglich als Begleiterkrankung anzusehen ist, durchgeführt werden, sofern die vorliegenden Symptome zuverlässig auf die genannten Veränderungen an der Synovialis, den Gelenkknorpeln und Menisken zurückzuführen und durch eine arthroskopische Intervention zu beeinflussen sind.

Die Streichung der Kassenleistung tritt am 1. April 2016 in Kraft.

Der Hergang dieser Leistungs-Streichung: Bereits am 20. Oktober 2010 hatte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) einen Antrag zur Bewertung der Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose gemäß § 137c SGB V beim G-BA gestellt. Der G-BA nahm den Antrag am 20. Januar 2011 an und leitete das Beratungsverfahren gemäß 1. Kapitel § 5 VerfO ein. Am 21. Juli 2011 wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Recherche, Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes zur Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose beauftragt. Den entsprechenden Abschlussbericht legte das IQWiG dem G-BA am 14. März 2014 vor.(https://www.iqwig.de/download/N11-01_Arthroskopie-des-Kniegelenks-bei-Gonarthrose_Abschlussbericht.pdf)

Der Berufsverband für Arthroskopie (BVASK e.V.) nahm während des Verfahrens mehrfach umfangreich Stellung zu den entscheidenden Punkten. Unter anderem teilten wir mit, dass wir die Methodik des IQWIG, welche sich ausschließlich auf die Bewertung randomisierter Studien stützt, für unzureichend halten. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der geringen Studienzahl und derer bereits mehrfach dargestellten zum Teil gravierenden methodischen Schwächen. Diese methodischen Schwächen werden im IQWIG-Bericht nicht ausreichend dargestellt. Hier wird lediglich das Verzerrungspotenzial berücksichtigt, welches in 10 der 11 eingeschlossenen Studien als hoch eingeschätzt wird.

Doch jegliche Stellungnahmen aller Wissenschaftler, Verbände und Organisationen werden vom G-BA abschließend lediglich erwähnt. Es wurde und wird, weder während des laufenden Verfahrens auf diese eingegangen, geschweige denn alles umfangreich diskutiert.

Dr. Ralf Müller-Rath, Vorstandsvorsitzender des BVASK: „Patient und Arzt werden kurzerhand für unmündig erklärt. Und das bei einer absolut mangelhaften Studienlage des IQWiG. Die Sichtweise des IQWIG widerspricht einer modernen, integrierenden Applikation von evidenzbasierter Medizin und wird der sehr komplexen Fragestellung in keiner Weise gerecht. Es ist aus unserer Sicht unerträglich, dass das IQWIG neben dieser methodisch fragwürdigen Beurteilung auch in öffentlichen Darstellungen bewusst einseitig gegen die Arthroskopie polemisiert.“

Dr. Emanuel Ingenhoven (Orthopädische Praxisklinik Neuss): „Es kann nicht sein, dass Operationen genauso bemessen werden, wie Arzneimittel. Dies alles soll einfach nur eine große Kostensparmaschine sein, ist aber nicht zuende gedacht. Erstens wird es am Ende mit mehr Gelenkersatz noch teurer. Und zweitens haben wir irgendwann, wenn alles auf diese unwissenschaftliche Art auf den Prüfstand kommt, unsere moderne Chirurgie komplett eliminiert. Es ist eben nicht möglich, über jedes Verfahren randomisierte Studien zu führen!“

Mit dem Beschluss des G-BA in diesem Fall ist man im Verband aber gar nicht so unglücklich. Auf der einen Seite kann bei gewisser Indikation ja weiterhin operiert werden, andererseits werden die Spezialisten hier von einem nicht kostendeckenden Eingriff befreit.

Doch viele Fragen, so Dr. Ingenhoven, bleiben im Falle der Gonarthrose noch ungeklärt:

Wer überprüft die Einhaltung der Ausnahmetatbestände und wie wird überprüft? Drohen hier eventuell Regresse? Sind jetzt die aufgeführten Eingriffe bei Gonarthrose ggf. als Privat-/Selbstzahler-Eingriff zu definieren? Wie wird die PKV hierauf reagieren?

Der BVASK bleibt dran und wird Sie informieren.

Dr. Müller-Rath: „Immer wichtiger wird es jetzt für uns, sich aktiv in die Berufspolitik einzumischen. Denn es drohen noch viel wichtigere Verfahren: Meniskuschirurgie, Kreuzbandchirurgie, Rotatorenmanschettennaht. Auch in diesen Bereichen ist, wie im Großteil der orthopädischen Chirurgie, die Datenlage, welche unsere aktuell favorisierten OP-Techniken mit  randomisierten Studien absichert, sehr dünn. Es ist zu erwarten, dass mit der Gründung des finanziell hervorragend ausgestatteten, neuen Institutes für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) eine zusätzliche Dynamik in diese Bereiche kommt.“

Wenn es soweit ist, stellen sich noch ganz andere, eigentlich die wichtigsten Fragen, die Dr. Ingenhoven so zusammenfasst:

Sind EBM-Kriterien überhaupt geeignet die Sinnhaftigkeit von operativen Interventionen zu erfassen?Bei welchen Operationen in O&U ist der Nutzen durch Level 1 Studien (verblindet, randomisiert, prospektiv) nachgewiesen? Wird zunehmend die verantwortliche gemeinsame Entscheidung in der Patienten – Arzt Ebene ausgehebelt? Dominieren nun nach den Kaufleuten, Verwaltungsfachleuten und Versicherungsmathematikern zunehmend Biomathematiker und Statistiker unseren Beruf? Und: Wie können wir das verhindern?

(reis/BVASK)

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